Mittelstandsbarometer 2021 - 14. Bericht zur konjunkturellen Lage des Mittelstands im Rhein-Kreis Neuss

Mittelstandsbarometer 2021 - 14. Bericht zur konjunkturellen Lage des Mittelstands im Rhein-Kreis Neuss

01 Sep 2021

Rhein-Kreis Neuss - Der Rhein-Kreis Neuss, die Creditreform Düsseldorf/Neuss und die Sparkasse Neuss haben zum 14. Mal ihre jährliche Umfrage zur konjunkturellen Lage des Mittelstands im Rhein-Kreis Neuss vorgelegt, die erstmals auch von der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein als neuem Projektpartner mitgetragen wird. Für die Analyse wurden vom 21. Juni bis 16. Juli 2021 wieder rund 500 Unternehmen in den acht Kommunen des Kreises telefonisch befragt. Zwei Sonderthemen befassen sich mit dem Einfluss und den Folgen der Corona-Pandemie auf die Betriebe im Kreisgebiet sowie mit dem Strukturwandel und den Folgen des Braunkohleausstiegs für die Wirtschaft im Rhein-Kreis Neuss.

Die Umfrage gilt wegen ihres Befragungsumfangs und der Auswahl der 500 Unternehmen nach Standort, Branche und Unternehmensgröße als die derzeit umfassendste und einzige repräsentative Umfrage für die Kommunen im Rhein-Kreis Neuss.

Das Geschäftsklima im Rhein-Kreis Neuss springt im Sommer 2021 auf 126 Punkte und überwindet das „Corona-Tief“ des Vorjahres. Die regionale Wirtschaft befindet sich wieder im konjunkturellen Aufschwung, auch wenn sich für den Herbst möglicherweise eine weitere Corona-Welle ankündigt. Alle Branchen legen deutlich zu – besonders das Verarbeitende Gewerbe (133 Punkte; + 33 Punkte) und der Handel (127 Punkte; + 23 Punkte) gewinnen drastisch. Das Baugewerbe (138; + 12 Punkte) entwickelt sich gleichfalls positiv und zeigt sich von der Corona-Krise am wenigsten betroffen. Handwerk und sonstige Branchen profitieren ebenfalls deutlich von den Corona-Lockerungen im 2. Quartal und Nachholbedarfen des privaten Konsums. Im Umfrageverlauf zeigte sich die Trenddynamik allerdings leicht negativ, da die regionalen Unternehmen neue Einschränkungen und Umsatzrückgänge durch eine vierte Infektionswelle befürchten.

„Trotz deutlichem Positivtrend hat die Corona-Krise weiterhin negative Wirkungen auf die regionale Wirtschaft“, so André Becker, Mitglied der Geschäftsleitung von Creditreform Düsseldorf / Neuss. „Der Aufschwung hat zwar nahezu alle Branchen erreicht und das Geschäftsklima der nicht oder nur noch gering von Corona betroffenen Unternehmen liegt fast schon wieder auf Rekordniveau. Dennoch gilt weiterhin: Je geringer die Betroffenheit, desto besser ist auch das Geschäftsklima der Unternehmen.
Alles in allem hat die Wirtschaft im Rhein-Kreis Neuss einen Neustart hingelegt, der im letzten Jahr nur bedingt möglich schien. Allerdings zeigt die Umfrage auch, dass Corona negativen Einfluss auf das Zahlungsverhalten nicht weniger Unternehmen hat.“

Das regionale Geschäfts- und Konjunkturklima zeigt im Frühsommer 2021
branchenübergreifend eine markante Aufwärtsbewegung. Fast alle Teilbewertungen des Geschäfts- und Konjunkturklimas im Rhein-Kreis Neuss haben sich verbessert. Nur der Saldenwert aktuelle Personallage zeigt sich leicht verschlechtert. Auftrags-, Umsatz- und Ertragsbewertungen legen drastisch zu und bilden eine wichtige Grundlage für positive Aussichten am regionalen Beschäftigungsmarkt. Das Auftragsklima wurde nur 2018 und 2019 besser beurteilt als in diesem Jahr. Jeweils mehr als zwei Drittel der Unternehmen im Rhein-Kreis Neuss bewerten ihre aktuelle und künftige Auftragslage mit einer sehr guten oder guten Schulnote (aktuelle Lage: 66 Prozent; + 15 Prozentpunkte; Erwartung für die nächsten sechs Monate: 71 Prozent; + 22 Punkte). Und auch die Bewertungen zur Umsatzlage (aktuell: 29 Prozent; + 7 Punkte; künftig: 50 Prozent; + 19 Punkte) und zur Ertragssituation (aktuell: 26 Prozent; + 7 Punkte; künftig: 46 Prozent; + 16 Punkte) belegen den deutlich positiven Konjunkturtrend. Allerdings gilt: Die Stimmung ist besser als Lage, denn die Erwartungen für die nächsten Monate sind deutlich positiver als die aktuellen Lageurteile. Die Unternehmen hoffen auf ein Ende der Pandemie.

„Die Entwicklung der letzten 12 Monate zeigt, dass die regionale Wirtschaft trotz der coronabedingten Verschlechterung des Konjunkturklimas im Vorjahr wieder Fahrt aufgenommen hat“, erläutert Landrat Hans-Jürgen Petrauschke die aktuellen Ergebnisse. „Aus der kurzzeitigen konjunkturellen Instabilität hat sich keine dauerhafte Rezession entwickelt. Aber die Corona-Pandemie ist noch nicht überwunden. Dies machen auch die aktuell wieder hohen Infektionszahlen deutlich. Eine Impfung ist daher nicht nur Schutz vor Corona, sondern auch eine wichtige Grundlage für wirtschaftliche Stabilität.“

Zudem belegen die Investitionspräferenzen trotz stagnierender Investitionsbereitschaft (49 Prozent; ± 0 Punkte) den konjunkturellen Optimismus der regionalen Wirtschaft. Die regionalen Unternehmen setzen wieder deutlich stärker auf Erweiterungsinvestitionen (31 Prozent; + 11 Punkte) und auf Investitionen in Innovationen (32 Prozent; + 4 Punkte). Ersatz- (29 Prozent; - 8 Punkte) und Rationalisierungsinvestitionen (8 Prozent; - 8 Punkte), die Ausdruck von konjunkturellem Pessimismus sind, werden 2021 wieder deutlich zurückgefahren.

Im Gleichklang hat sich auch das Zahlungsverhalten der Unternehmen im Rhein-Kreis Neuss nach Angaben des Creditreform Debitorenregisters Deutschland (DRD) in den ersten sechs Monaten des Jahres wieder merklich verbessert (von 14,7 auf 14,1 Tage; - 0,6 Tage). Allerdings gibt derzeit jedes fünfte regionale Unternehmen an (21 Prozent), dass sich die Zahlungsausfälle bei Kunden durch die Folgen der Corona-Pandemie erhöht haben.

„Wir haben alles getan, um die wirtschaftlichen Belastungen der Corona-Pandemie für unsere mittelständischen Kunden so gering wie möglich zu halten“, so Marcus Longerich, stellvertretender Vorstand der Sparkasse Neuss. „Wir haben alleine im letzten Jahr Fördermittel mit einem Gesamtvolumen von mehr als 112 Millionen Euro für kleine und mittelständische Betriebe zur Verfügung gestellt. Das darin enthaltene Volumen der speziell aus den staatlichen Corona-Hilfspaketen ausgezahlten Mittel lag bei 53 Millionen Euro. Wir wissen: Die Pandemie mit ihren anhaltenden Unsicherheiten ist nicht vorüber. Deswegen werden wir in unserem besonderen Engagement für die heimische Wirtschaft nicht nachlassen.“

Die Wertschätzung des Rhein-Kreis Neuss hat im Frühsommer 2021 leicht abgenommen – in Krisenzeiten nicht ungewöhnlich. Trotz Corona bleibt der Rhein-Kreis Neuss für neun von zehn Unternehmen ein hoch geschätzter Unternehmensstandort. 90 Prozent der regionalen Unternehmen würden den Rhein-Kreis Neuss anderen Unternehmen als „Unternehmensstandort empfehlen“ (- 4 Punkte). Die Bekanntheit der Beratungs- und Dienstleistungsangebote der Wirtschaftsförderungen im Rhein-Kreis Neuss ist in den letzten 12 Monaten erstmals seit 2018 wieder gesunken – nach vier Anstiegen in Folge (50 Prozent; - 7 Punkte). Allerdings haben sich die Bewertungen der Beratungs- und Dienstleistungsangebote der Wirtschaftsförderungen im Rhein-Kreis Neuss im Jahresvergleich merklich verbessert und liegen mit einer mittleren Schulnote von 2,49 im guten Benotungsbereich (- 0,08 Punkte).

Die Corona-Pandemie hat weiterhin negative Wirkungen auf die regionale Wirtschaft. Mehr als die Hälfte der Unternehmen im Rhein-Kreis Neuss ist wirtschaftlich entweder „stark“ (28 Prozent; + 2 Punkte) oder zumindest „gering“ (28 Prozent; + 4 Punkte) von der Corona-Krise betroffen. Dabei sind mittlerweile die meisten Unternehmen von „behördlichen Anordnungen“ (48 Prozent; + 20 Punkte) und ebenfalls zunehmend von „Zulieferengpässen“ (32 Prozent; + 11 Punkte) betroffen. „Auftragsrückgänge und Auftragsstornierungen“ (32 Prozent; - 8 Punkte) oder „Absatzschwierigkeiten“ (26 Prozent; - 11 Punkte) sind angesichts der Corona-Lockerungen seit dem Frühjahr 2021 deutlich rückläufig. Etwa vier Prozent der Unternehmen geben 2021 an, direkt durch „Krankheitsfälle in der Belegschaft“ betroffen gewesen zu sein (+1 Punkt).

Die Corona-Pandemie hinterlässt auch deutliche Spuren in den betrieblichen Strukturen der regionalen Wirtschaft. Die meisten Firmen nutzen mittlerweile – im Vergleich zu 2020 deutlich zunehmend – „flexible(re) Arbeitszeitmodelle“ (68 Prozent; + 10 Punkte) und „mobiles Arbeiten und Home-Office“ (64 Prozent; - 2 Punkte). Zudem wird auch die Dauer der Bewältigung der Corona- Krise für das eigene Unternehmen insgesamt leicht positiver bewertet als noch im letzten Jahr. Die Gruppen der „Optimisten“ (66 Prozent; + 1 Punkt) und „Pessimisten“ (34 Prozent; - 1 Punkt) haben sich in ihrer Größe nicht sonderlich verändert – allerdings zeigen beide Gruppen deutlich verbesserte Geschäftsklima- Werte. Bei den „Optimisten“ liegt das Geschäftsklima deutlich im „grünen Bereich“ (124 Punkte; + 24 Punkte), bei den Pessimisten immer noch unter der 100-Punkte-Grenze (90 Punkte; + 33 Punkte), wenngleich erfreulicherweise deutlich angestiegen.

Der Strukturwandel im Rheinischen Revier mit der Beendigung der Kohleverstromung bis 2038 ist auch für den Rhein-Kreis Neuss eine „Langfristaufgabe“, die weit über das Jahr 2038 hinausreicht (Reviervertrag). Knapp 20 Prozent der regionalen Unternehmen geht derzeit von einer direkten (3 Prozent) bzw. indirekten Betroffenheit (16 Prozent) durch den Strukturwandel aus. 60 Prozent der Unternehmen sind nach eigenen Angaben vom Strukturwandel „nicht betroffen“. Etwa 20 Prozent wissen noch „zu wenig“ über das Thema oder halten das Thema für „irrelevant“.

Die Unternehmen sehen im Strukturwandel mehrheitlich eher positive als negative Auswirkungen. Bei den positiven Auswirkungen werden am häufigsten die „Verbesserung der Lebens- und Umweltqualität“ (86 Prozent), die Möglichkeit eines „Innovationsschubs“ (62 Prozent) sowie die „Verbesserung der (verkehrlichen / digitalen) Infrastruktur“ (59 Prozent) genannt. Als negative Auswirkungen werden am häufigsten eine „unsichere / teurere Energieversorgung“ (73 Prozent) und dann mit Abstand die „Verschärfung des Fachkräftemangels“ (33 Prozent) und „Personalreduzierung“ (25 Prozent) genannt.

Dabei sehen die regionalen Unternehmen den größten Investitionsbedarf öffentlicher Gelder bei Investitionen in die Bildungsinfrastruktur (24 Prozent), in die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur (21 Prozent) und in die Verkehrsinfrastruktur (überörtlich / innerstädtisch / ÖPNV; 16 Prozent). Die wichtigsten Themenfelder, die innerhalb des Strukturwandels vorangetrieben werden sollten, sind die Themen Bildung (95 Prozent der Nennungen), gefolgt von den Themenfeldern Nachhaltigkeit & Klimaschutz (90 Prozent) und Gesundheit (89 Prozent). Alles in allem sehen 45 Prozent der regionalen Unternehmen im Strukturwandel eher Chancen und Vorteile. Jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) verbindet mit dem Strukturwandel beides: Chance und Risiko. Und nur etwa jedes zwanzigste regionale Unternehmen beurteilt die Folgewirkungen als Risiko und von Nachteil (5 Prozent).

Die Wirtschaft im Rhein-Kreis Neuss hat 2021 einen „Restart“ hingelegt, der im letzten Jahr nur bedingt möglich schien. Die „Turborezession“ im Vorjahr hatte die regionale Wirtschaft aus der „Comfort-Zone“ eines sechsjährigen „konjunkturellem Dauerbooms“ ins „Corona-Tief“ geführt. Nach einem historischen Einbruch durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie im letzten Jahr ist ein markanter Konjunkturaufschwung gelungen, der auch auf den Lockerungen der Corona-Regeln in Folge der erfolgreichen Impfkampagne im Frühjahr basiert. Ob eine dauerhafte Rückkehr in die ökonomische Normalität gelingt, bleibt angesichts derzeit wieder ansteigender Infektionszahlen durch die Delta-Variante des Coronavirus abzuwarten.

„Das Geschäftsklima wird durch die äußerst positiven Erwartungen getrieben. Die Lage ist zwar besser als im Vorjahr, aber noch nicht auf dem Vorkrisenniveau“, so Jürgen Steinmetz. Der Hauptgeschäftsführer befürchtet, dass der Aufschwung durch Zuliefererengpässe, Materialknappheit und steigende Rohstoff- und Energiepreise abgeschwächt wird. „Dies betrifft insbesondere das Baugewerbe und die Industrie“, so Steinmetz. Zudem sind derzeit die Portemonnaies und Sparbücher vieler Konsumenten gut gefüllt und warten darauf, den privaten Konsum wieder anzuschieben. Wenn alles gut geht, ist in den nächsten zwölf Monaten eine „Extraportion Wachstum“ möglich.


Zum Hintergrund:
Das Mittelstandsbarometer Rhein-Kreis Neuss ist 2008 auf Initiative von Creditreform Neuss, Rhein-Kreis Neuss und Sparkasse Neuss ins Leben gerufen worden. Seit 2021 ist die Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein neuer Projektpartner. Ziel der regelmäßigen Umfragen ist, den „Puls“ der mittelständischen Wirtschaft in unserer Region zu erfühlen. Hierzu wird u.a. erfragt, wie die hiesigen Unternehmen ihre derzeitige Geschäftssituation und die Aussichten für die nächsten Monate beurteilen. Zusätzlich wird jedes Jahr ein Sonderthema abgefragt. Die Umfrageergebnisse werden der Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz sowie auf weiteren Veranstaltungen vorgestellt.

Quelle-Foto: Rhein-Kreis Neuss/S. Büntig, (v.l.n.r.): Landrat Hans-Jürgen Petrauschke, Marcus Longerich, stellvertretender Vorstand der Sparkasse Neuss, André Becker, Mitglied der Geschäftsleitung der Creditreform Düsseldorf/Neuss und IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz

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